Bahnhof Tann:

Haltepunkt für Personen- und Güterverkehr an der Bahnstrecke Hersfeld-Homberg-Wabern?
(Hans-Otto Kurz, Ludwigsau-Friedlos)

Bahnhof Tann?

Ein Bahnhof in der Gemeinde Tann?

Wären die Vorschläge im Zusammenhang mit der geplanten Bahnlinie Hersfeld-Homberg und der Streckenführung durch das Rohrbachtal umgesetzt worden, hätte vielleicht auch die Gemeinde Tann einen Bahnhof erhalten.

Auch hier bei uns versprach man sich mit dem Beginn des „Eisenbahnzeitalters“ und der „Eisenbahn-Bau-Euphorie“ – abgesehen von wenigen Skeptikern, die Gefahren durch den Betrieb der Eisenbahn für Menschen und Tiere fürchteten – weitreichenden Fortschritt und günstige Entwicklungschancen.

1904: Bahn von Hersfeld durch das Geistal über Homberg nach Wabern geplant

In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts standen in unserer Region mehrere Bahnbaupläne im Mittelpunkt der öffentlichen und privaten Diskussionen.

Die Bahnlinie Hersfeld-Oberaula (später bis Treysa) war bereits im Bau. Eine Bahn-Verbindung in das Werratal war im Gespräch (1910 begann der Bau der Hersfelder Kreisbahn).

Die vorgeschlagene Bahn von Hersfeld über Homberg nach Wabern sollte eine Querverbindung bringen und u.a. das Geistal verkehrsmäßig und eisenbahntechnisch erschließen. Es bestand die Überlegung, dass durch den Bau einer „Hersfeld-Homberg-Wabern-Bahn“ die im Jahr 1866 erbaute Bahnlinie Bebra-Hanau-Frankfurt von Hersfeld aus mit der bereits seit 1852 bestehenden und von Kassel nach Frankfurt führenden „Main-Weser-Bahn“ in Wabern verbunden werden sollte.

Die Königliche Eisenbahndirektion in Cassel richtete 1904 im Auftrage des Ministers für öffentliche Arbeiten an die Landräte der beteiligten Kreise die Bitte, zahlreiche Daten zur Verfügung zu stellen und planerische Vorermittlungen für den Bau einer Bahnstrecke von Hersfeld nach Homberg mit Weiterführung nach Wabern einzuleiten.

Die aus dem Kreis Hersfeld in Frage kommenden Anrainer-Gemeinden – Aua, Obergeis, Untergeis, Gittersdorf, Allmershausen, Heenes, Kalkobes und Hersfeld - hatten einen umfangreichen Fragebogen auszufüllen und dem Landratsamt Hersfeld zur Aufbereitung und Weiterleitung vorzulegen. (°1, ° 2)

Nach den Planungen und nach vorläufiger Feststellung der Kasseler Eisenbahndirektion vom 8. September 1904 sollte die Linie nach Homberg in unserer Region ungefähr in folgender Weise verlaufen:

Von Hersfeld dem Geistal folgend über Kalkobes, Allmershausen, Gittersdorf, Untergeis, Obergeis, Aua, von hier entweder über Mühlbach, Ellingshausen, Völkershain, oder in westlicher Richtung über Raboldshausen, Salzberg, Grebenhagen, ...

Bahnhöfe, - Eisenbahnstationen - , teils als Haltestellen, teils als Haltepunktewaren in Hersfeld, Gittersdorf, Obergeis, Aua, Mühlbach, Ellingshausen, Völkershain, bzw. Raboldshausen und Grebenhagen ... in Aussicht genommen worden.

Bürgervereinigungen zur Unterstützung der Planungen – sog. Eisenbahnbaukommissionen - wurden in mehreren Gemeinden gebildet. Zahlreiche Versammlungen mit jeweils großer, fast ausschließlich zustimmender Beteiligung fanden an verschiedenen Orten statt.

Gleis-Einführung in den Bahnhof Hersfeld schwierig und kostspielig

Rasch zeigte sich, dass die Anbindung der von Homberg durch das Geistal vorgesehenen Schienenstrecke an die Nord-Süd-Trasse (und auch an die Bahnlinie Hersfeld-Oberaula) mit der erforderlichen Verknüpfung im Bahnhof Hersfeld finanziell aufwändig und technisch problematisch werden würde.

Mehrere Vorschläge über den Verlauf des zu führenden Schienenstrangs – Einführung in den Hersfelder Bahnhof von Norden oder von Süden – wurden erarbeitet und lebhaft diskutiert. Weitläufige Bögen, gigantische Tunnels und riesige Viadukte wurden geplant.

Gigantische Planungen

Planungsvarianten zur Einführung des von Homberg kommenden Schienenstranges in den Hersfelder Bahnhof mit Anbindung an die Nord-Süd-Linie Bebra-Frankfurt (° 2)



Basiskarte: Königl. Preuß. Landesaufnahme 1905/1907
(° 2)

Planungsvarianten durch das Hersfelder Stadtgebiet

Linienführung in Richtung Süden:

Variante 1 Vom Bahnhof Hersfeld parallel der Linie Hersf.-Treysa, Halt am Haltepunkt Hersfeld-Bad, scharfer Bogen nach Norden, Sportplatz und Lullusbad auf 6 m hohem Damm (später: anstelle Damm auf etwa 250 m Länge viaduktartiges Bauwerk - ° 5) durchschneiden, an Wölbing´scher Ziegelei u. sog. Alpen vorbei, Meisebachtal überschreiten, Höhenrücken des Frauenberges mit 300 m langem Tunnel durchstoßen, Einmündung in Geisbachtal bei der Kupfermühle bzw. Bahnhofsanlage Kalkobes.

Variante 2 Wie vor, jedoch erst später (hinterm Kurpark) nach Norden, per 950 m langem Tunnel Tageberg-Unterquerung, Meisebachtal (gegenüber Variante 1 westlicher) überqueren, Frauenberg mit rd. 560 m langem Tunnel unterfahren, in das Geisbachtal in Höhe der Kupfermühle einmünden.

Linienführung in Richtung Norden:

Variante 3 Parallel zur Strecke Bebra-Frankfurt bis Zellersgrund, dann Ri. Westen, Unterschreiten des Wehneberges mittels eines ca. 1440 m langen Tunnels, Eintritt in das Geisbachtal vor Kalkobes.

Variante 4 Wie vor, Unterschreiten des Wehneberges mittels ca. 680 m langen Kehrtunnels, parallel zur Bahn am Hang zurück Ri. Bahnhof, dann nach Westen und in das Geisbachtal. (° 3)

Überführung im Fuldatal, Viadukt am Sportplatz und Lullusbad (° 2)



Der 2. Bogen von rechts sollte die Straße nach Asbach überqueren ( lichte Höhe jeweils 6,50 m); der 2. Bogen von links führte über eine projektierte Straße.

Stadtentwicklung gefährdet – Bürger protestieren – Kosten nicht zu finanzieren

Die zum 1.5.1906 fertiggestellte Nebenbahn Hersfeld-Oberaula mit dem Bahnhof Hersfeld-Bad brachte zwar Belästigungen, aber auch Annehmlichkeiten und neue Entwicklungschancen.

Auch von dem Bau der Bahnstrecke Hersfeld-Homberg-Wabern versprach man sich vielfältige Vorteile und hielt die Strecke für die Entwicklung der Stadt durchaus für bedeutsam.

Viele sahen jedoch bei der aufwendigen Einführung von Süden her zahlreiche individuelle Belästigungen durch den Bahnbetrieb und eine nicht hinzunehmende Veränderung des Stadt- und Landschaftsbildes. Vielfältige Nachteile wurden für die Stadt, für die Entwicklung des Stadtgebietes, für den Sportplatz und für das Lullusbad befürchtet.

Insbesondere das entstehende Hersfelder Villenviertel, den erst im Jahre 1904 gebohrten Lullus-Brunnen und die Pläne für Kurbad und Kurpark sah man durch die vom Haltepunkt Hersfeld-Bad abzweigende Trasse mit den gigantischen Bögen, Brücken, Durchlässen und Tunnels (zusätzlich) erheblich gefährdet.

Hunderte Hersfelder Bürger protestierten und unterzeichneten dann auch einen Aufruf, der sich gegen eine Bahnanbindung von Süden mit Viadukt und Tunnel wendete. Die Verantwortlichen - insbesondere bei der Stadt und beim Kreis - standen vor schwierigen Entscheidungen.

Nachdem über einen längeren Zeitraum verschiedene Planungsvarianten diskutiert worden waren, stand jedoch bald fest: Bei jeder Planungsvariante – egal ob die von Homberg kommende Bahn von Norden oder von Süden in den Hersfelder Bahnhof eingeführt und angeschlossen werden sollte – waren jeweils aufwändige Brücken und mindestens ein Tunnel erforderlich.

Die kalkulierten Baukosten mussten wegen der kostenträchtigen Tunnel- und Brückenlösungen recht hoch angesetzt werden; erhebliche Kapitalmehraufwendungen waren zu befürchten. So sollte ein Kilometer im Stadtgebiet Hersfeld fast 300 000 RM kosten, während bei der Strecke Hersfeld-Treysa und Hersfeld-Heimboldshausen nur rd. 95 000 RM bzw. nur 80 000 RM für einen Kilometer benötigt wurden bzw. angesetzt worden waren.

Im Vergleich zu anderen Bahnbaukosten waren diese hohen Kosten im Stadtgebiet Hersfeld nicht zu akzeptieren und letztendlich auch nicht zu finanzieren.

Tanner fordern: Hersfeld-Homberg-Wabern-Linie durch das Rohrbachtal mit Bahnhof für Tann

Jetzt erkannten aufgeschlossene, weitblickende und fortschrittliche Tanner Bürger eine Chance für ihre Gemeinde und auch für das gesamte Rohrbachtal, für den sog. Besengrund!

Sie schlugen eine Streckenführung – ausgehend von dem an der Bahnstrecke Bebra-Frankfurt liegenden Bahnhof Friedlos (Bahn-Haltepunkt seit 1.12.1905) - durch das Rohrbachtal vor. Dieser Vorschlag schien in vieler Hinsicht eine überzeugende Lösung zu sein! (° 3)

Am 30. Juli 1911 fasste die Gemeindevertretung von Tann unter dem Vorsitzenden, Bürgermeister Wiegand, und durch die Mitglieder Brandau, Rödiger, Braun, Heß, Hildebrand, Aug. Niemayer und Wilhelm Schön folgenden Beschluss:


Es wird um die Erbauung einer Eisenbahn über Friedlos, Tann durch den Hauksgrund nach Obergeis-Homberg gebeten. Die Gemeinde Tann verpflichtet sich, den Grund und Boden hierzu unentgeltlich zur Verfügung zu stellen mit dem Vorbehalt, dass Tann als Halte- bzw. Güterverladestelle vorgesehen wird. Mit Rücksicht dieser Bahnanlegung wird der Rohrbach- und Geisgrund durch wenige Kosten zu gleicher Zeit aufgeschlossen und die Bahn dadurch rentabler werden.

Bei der Vorlage des Beschlusses der Tanner Gemeindevertretung an das Königliche Landratsamt zu Hersfeld gab Bürgermeister Wiegand noch weitere interessante Begründungen für die von Tann vorgeschlagene Streckenführung.

... Bemerke noch, dass sich diese Bahn mahl sehr gut rentieren würde. Wie im allgemeinen Gespräch ist, soll dieses eine Durchgangsbahn von Thüringen nach Westfalen werden und den überbürdeten Bahnhof Bebra entlasten, sowie das gefährliche Hönebacher Tunnel umgehen.

In Tann als Güterbahnhof würden jährlich außer sonstiger Verfrachtung jährlich ca. 30 000 Festmeter Holz vom Riedesel´schen Forst, 7000 Festmeter vom Lüdersdorfer Forst und 5000 Festmeter vom Hersfelder Forst zur Verladung kommen.

Öffentlich diskutiert wurde der Tanner Vorschlag erstmals am 6. September 1911 während der Hauptversammlung der „Vereinigung zur Förderung des Bahnbaues Hersfeld-Homberg-Wabern“ in Appenfeld.

Über 600 Personen (einschl. der Landräte der beteiligten Kreise) nahmen an der Zusammenkunft im Gasthaus Trieschmann in Ober-Appenfeld teil.

Gutsbesitzer Niemayer erläuterte den Rohrbachtal-Plan. Seine Ausführungen fanden vor diesem Personenkreis jedoch keinen Anklang. (° 4, ° 8)

Später wurden neben der „Hauksgrund-Linie“ noch weitere Planungsvarianten durch das Rohrbachtal diskutiert.

Streckenbesichtigung im Geis- und Rohrbachtal

Anlässlich einer 3-tägigen Streckenbereisung im Raum Hersfeld, Geis- und Rohrbachtal am 30./31.7. und 1.8.1913, an der u.a. der Eisenbahndirektionspräsident, hohe Eisenbahnbeamte, Ländräte, Bürgermeister und weitere örtliche Interessenvertreter teilnahmen, wurden auch die in der Diskussion stehenden 2 Rohrbachtal-Linien begutachtet.

Rohrbachtal-Linien: Vorschlag 1 und Vorschlag 2



Basiskarte: Königl. Preuß. Landesaufnahme 1905/1907
(° 7)

Planungsvarianten durch das Rohrbachtal

Die Niederschrift über die Bereisung der geplanten Neubaulinie Hersfeld-Homberg schildert diese beiden Rohrbachtal-Linien wie folgt:

Rohrbachtal-Linie 1:

Die Bewohner des Rohrbachtales wünschen eine Linienführung durch dieses Tal. Ausgehend von der Haltestelle Friedlos der Bebra-Frankfurt Bahn soll sie bis Thalhausen im Rohrbachtal emporsteigen, von dort aus die Wasserscheide überschreiten, bei Mühlbach in ein Seitental des Geisbachtales eintreten und bei Aua in die Geisbachtallinie einmünden.

Der Antrag wird durch den Landrat des Kreises Rotenburg unterstützt.

Die Eisenbahnverwaltung erwidert, dass auch diese Linienführung eingehend geprüft worden sei, dass sie aber aus folgenden Gründen nicht in Frage kommen könne:

  1. Die Überwindung der Wasserscheide vor Mühlbach sei nur mittels eines 1150 m langen Tunnels möglich;

  1. Um in die Geisbachtallinie einzumünden, werden die Überschreitung des Geisbachtales mit einem etwa 30 m hohen und 300 m langen Viadukt notwendig;

  1. Die Mehrlänge gegenüber der Geisbachtallinie betrage bei Annahme der Haltestelle Friedlos als Anfangspunkt 4 km, bei selbständiger Durchführung der Linie bis zum Bahnhof Hersfeld sogar 8 km;

  1. Wegen der hohen Lage des Tunnels bei Mühlbach erhalte die Linie ein verlorenes Gefälle von 35 m, während die Geisbachtallinie in gleichmäßiger Steigung bis Salzberg emporführe.

Die Kosten der Rohrbachtallinie betrügen 8 250 000 Mark, diejenigen der Geisbachtallinie nur 5 100 000 Mark.

Die wirtschaftliche Bedeutung der Ortschaften des Rohrbachtales sei wesentlich geringer als beim Geisbachtale, so dass der ganz außerordentliche Mehraufwand an Baukosten und der große Umweg durch keinerlei besondere Vorteile aufgewogen würde.

Rohrbachtal-Linie 2:

Der Bürgermeister von Tann im Rohrbachtal regt eine andere Linienführung an, bei der sowohl das Rohrbachtal wie das Geisbachtal gleichzeitig hinreichend berücksichtigt werden sollen.

Die Linie könnte von Friedlos aus durch das Rohrbachtal bis Tann geführt werden, soll dann in das Biedebachtal einbiegen, durch den Hauksgrund führen und nach Überschreitung des vorgelagerten Höhenrückens vor Untergeis in die Geisbachtallinie einmünden.

Die Eisenbahnverwaltung sagt die Untersuchung dieser Linie zu.





Rohrbachtal-Linie 1: Rotenburger Landrat stimmt zu

Der Rotenburger Landrat Richard Tuercke (Landrat von 1898-1921) unterstützte diesen Plan bei allen sich bietenden Gelegenheiten und bei allen beteiligten Stellen. Er sah bei dieser Linie Vorteile für seinen Kreis und für die zum Kreis Rotenburg gehörenden Gemeinden des oberen Rohrbachtales.

Insbesondere aus Kostengründen wurde diese Linie von der Eisenbahnverwaltung planerisch nicht weiter verfolgt. (° 3, ° 7)

Rohrbachtal-Linie 2: Hersfelder Landrat skeptisch


Auf Grund der Zusage anlässlich der durchgeführten Streckenbereisung erbat die

Eisenbahnverwaltung zur „Kalkulation der Rohrbachtallinie 2“ im Oktober 1913 vom Kreis

Hersfeld und von den Gemeinden Reilos, Rohrbach Tann und Biedebach zahlreiche Planungsdaten.

Die vier Gemeinden beeilten sich; sie lieferten die Daten und waren optimistisch.

Der Hersfelder Landrat Carl Alexander von Grunelius (Landrat von 1906-1921) beurteilte in seiner Stellungnahme den Tanner Vorschlag – Bahn durch das Rohrbachtal und durch den Hauksgrund in das Geistal – eher skeptisch.

Er meinte in seiner Stellungnahme vom 12.12.1913 u.a., dass

die Bahn für Reilos einen besonderen Vorteil nicht bringe, da die Einwohner nach wie vor nach Friedlos gehen und mit einem stärkeren Personenverkehr auch aus den Orten Rohrbach, Tann und Biedebach ist kaum zu rechnen ... Ihre Einwohner bestehen in der Hauptsache aus Fabrik- und sonstigen Arbeitern, die hauptsächlich in Hersfeld beschäftigt und in der Regel wenig leistungsfähig sind.

Wenn nun auch die neue Bahn anfänglich von diesen Leuten bei günstiger Zugeinrichtung – vorzugsweise im Winter – benutzt werden wird, so ist doch damit zu rechnen, dass man im Sommer die Fahrtkosten, wenn sie auch nur gering sind, scheut und den Weg zu Fuß zurücklegt.

Von Hersfeld über den Hof Wehneberg führt ein Waldweg in das Rohrbachtal, der jetzt von den nach Hersfeld kommenden Personen aus diesem Tale in der Regel benutzt wird. ...

I. Weltkrieg unterbricht alle Planungen zum Bahnbau

Mit der Kriegserklärung des Deutschen Reiches an Russland am 1. Aug 1914 und dem Ausbruch des I. Weltkrieges waren natürlich alle Überlegungen zum Bahnbau Hersfeld-Homberg zurückgestellt worden.

Doch bereits am 19. März 1919 wurden die Planungen wieder aufgenommen.

Gegenüber dem Regierungspräsidenten in Kassel sprach sich der Hersfelder Landrat v. Grunelius in Übereinstimmung mit dem Hersfelder Magistrat – auch nachdem nochmals verschiedene neue Varianten geplant und diskutiert worden waren – gegen eine Einführung der Bahn von Süden. Er bat um Einfädelung im Hersfelder Bahnhofsbereich von Norden.

Gleichzeitig wies Landrat v. Grunelius darauf hin, dass die projektierte Bahnstrecke das letztes Glied der durchgehenden Eisenbahnverbindung von Thüringen nach Westfalen darstelle und deshalb eine Verbindung mit der 1912 fertiggestellten Kreisbahnstrecke Hersfeld-Heimboldshausen anzustreben sei.

Die dann im März 1920 von der Eisenbahndirektion Kassel überarbeiteten Planungen brachten die einst zurückgestellte Rohrbachtal-Linie wieder ins Gespräch. Sie sah jetzt folgende Streckenführung vor:

..... zunächst parallel mit der Hauptbahn Frankfurt-Bebra bis zum Haltepunk Friedlos, der bei dieser Gelegenheit, einem langen Wunsch der Gemeinden Friedlos und Reilos entsprechend, zu einer Haltestelle mit Güterverkehr ausgebaut werden könnte. Mit scharfer Krümmung biegt sie dann in das Rohrbachtal ein und lehnt sich an dessen Hang bis zum Dorfe Niederthalhausen. Dieser Hang ist vorzuziehen, weil er günstigere Bahnhofslagen für Rohrbach, Tann, Gerterode und Niederthalhausen ermöglicht. Von Niederthalhausen steigt dann die Linie weiter bis zum Gut Emmerichsrode. Unmittelbar dahinter wird der langgestreckte Bergrücken zwischen dem Rohrbachtal und dem Geisbachtal mittels rund 1200 m langem Tunnel durchbrochen. ...

Waren jetzt die Chancen für eine Trassenführung durch das Rohrbachtal mit einem Bahnhof für Tann wieder gestiegen?

1921: Berlin hat kein Geld für den Bahnbau

Doch vom Reichsverkehrsministerium in Berlin kam bald danach das „Aus“.

Am 9. April 1921 wurde entschieden, dass der Ausführung der Bahn für Rechnung des Reiches wegen äußerst ungünstiger Finanzanlage in absehbarer Zeit nicht näher getreten werden kann.

Gemeinde Tann kämpf trotzdem weiter

Die Gemeinde Tann gab dennoch nicht auf. Am 18. Mai 1921 wandte sich die Gemeindevertretung in einem 3-seitigen Schreiben mit zahlreichen Argumenten – unterzeichnet von Aug. Niemayer, Wilh. Schön, Nicolaus Wiegand, Val. Hassenpflug, Heinrich Hehr, Friedrich Schmidt, Konrad Sunkel, Berd. Nussbaum – nochmals an den Landrat in Hersfeld. Ohne Erfolg.

Einen letzten Versuch unternahm der Tanner Bürgermeister Schmidt am 26. April 1927.

Schmidt hatte wohl von einer Anfrage des Abgeordneten Justi im Preuß. Landtag in Berlin vom Dezember 1926 gehört. Dieser machte sich zum Sprecher der 5 Anrainerkreise und von den am Bahnbau stark interessierten Firmen (An- und Abtransport von Braunkohle, Eisen, Holz, Basalt, ...).

Justi schlug der Regierung vor, im Rahmen der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit den Bahnbau mit Hilfe der „produktiven Erwerbslosenmittel“ in Angriff zu nehmen. (° 6)

Bürgermeister Schmidt trug dem Hersfelder Landrat zu dem Bahnbauprojekt Hersfeld-Homberg-Wabern erneut die für die Linie „Rohrbachtal, Hauksgrund, Geistal“ sprechenden Argumente vor.

Der Bürgermeister fasste in einer Fleißarbeit die für Tann sprechenden Gesichtspunkte nochmals zusammen und bat den Landrat um Unterstützung.

In beeindruckend sauberer Schrift führte er aus:

Tann, (Kreis Hersfeld), den 26. April 1927

An

den Herrn Landrat des Kreises Hersfeld

zu Hersfeld

Aus bestimmter Quelle haben wir erfahren, daß das schon lange geplante Bahnprojekt Hersfeld-Homberg erneut in Angriff genommen wird.

Schon vor dem Kriege hatte die hiesige Gemeinde ein Bauplan eingereicht, der von Hersfeld aus an der Waldschenke vorbei durch den Zellersgraben ins Rohrbachtal einmündet und dann über Rohrbach und Tann durch den Hauksgrund in den Geisgrund, zwischen Gittersdorf und Untergeis, einmündet.

Da die Einmündung dieser Bahn direkt vom Geisgrund auch in den Bahnhof Hersfeld auf fast unüberwindliche Schwierigkeiten stieß, wurde unser oben angeführtes Projekt, schon einige Jahre vor dem Kriege, von der Eisenbahnverwaltung abgesteckt und vermessen. Diese Unterlagen befinden sich bei den Akten über die Vorarbeiten des Bahnbaues Hersfeld-Homberg.

Außer der ungeheueren Verbilligung beim Ausbau der Teilstrecke Hersfeld-Obergeis fällt noch ganz besonders ins Gewicht, daß durch dieses Projekt gleich 2 Täler aufgeschlossen werden, wodurch die Rentabilität dieser Teilstrecke gesichert ist.

Auf der Bahnstation Tann würden die Hölzer der anliegenden Oberförstereien: Rotenburg-Lüdersdorf, Freih. Ried´eselsche Oberförsterei zu Ludwigseck, Schutzbezirk Tann, Biedebach, Heenes, Gittersdorf und der teilweise recht großen Gemeindewaldungen im Rohrbachgrund zur Verladung kommen.








 
Hierzu kommen außerdem noch die zur Aus- und Verladung kommenden Güter an Getreide, Kunstdünger, Kraft-Futtermittel, Kohlen, Maschinen usw. der beiden großen
Darlehenskassen im Rohrbachtale: Tann und Beenhausen. Sowie die noch benötigten Baumaterialien: Zement, Ziegelsteine, Ziegeln, Kalk, Bretter, Basaltsteine usw. der im Rohrbachtal liegenden Dörfer: Rohrbach, Tann, Biedebach, Gerterode, Rittergut Trunsbach, Niederthalhausen, Oberthalhausen, Emrichsrode, Heyerode, Beenhausen und Rittergut Ludwigseck.

Nach gewissenhafter Schätzung und Rücksprache mit den in Frage kommenden Forstbeamten würden in Tann täglich 5-6 Waggon Holz und sonstige Sachen zur Verladung kommen, hierdurch ist die Rentabilität dieser Teilstrecke im vollsten Maße gesichert.

Bei diesem Projekt ist gegenüber dem Projekt, welches direkt in den Geisgrund einmündet, der Grunderwerb so verschwindend wenig, weil hierbei keine teuren Baugrundstücke oder sonstige wertvollen Anlagen berührt werden.

Wir bitten den Herrn Landrat unser beschriebenes Projekt fachmännisch prüfen zu lassen und dasselbe gütigst unterstützen zu wollen.


Im Namen der Gemeindevertretung von Tann

Der Bürgermeister:

Schmidt







Doch die Entscheidung war längst getroffen; es gab keinen Grund und kein neues Argument dafür, die Planungen wieder aufzunehmen.

Der Landrat bestätigte am 5.5.1927 dem Tanner Bürgermeister lediglich noch den Eingang der gegebenen Hinweise .....

Es blieb dabei:

Die Hersfeld-Homberg-Wabern-Bahn wurde nicht gebaut!

Die gigantischen Bahnbau-Pläne durch das Hersfelder Stadtgebiet blieben Utopie!

Das Geistal und das Rohrbachtal bzw. der Besengrund blieben ohne Bahnlinie!

Der Bahnhof Tann blieb ein Wunschtraum!

Rückblickend kann heute jedoch folgendes festgestellt werden:

Kaum eine andere Gemeinde hat sich so vehement um eine verkehrsmäßige Anbindung bemüht und so hartnäckig um einen Bahnhof gekämpft, wie die Einwohner und die Gemeindegremien von Tann.

Heute stellen sich allerdings auch folgende Fragen:

Hätte die Hersfeld-Homberg-Wabern-Bahn – wäre sie gebaut worden – alle Erwartungen und Hoffnungen, die man Anfang des 20. Jahrhunderts mit diesem Bahnbetrieb in Hersfeld und in den Anrainergemeinden verband, längerfristig auch erfüllen können?

Wäre die Bahnlinie heute noch in Betrieb?

Wäre die Bahnstrecke – wenn sie nicht mehr genutzt worden wäre - dann „zurückgebaut“ worden?

Gäbe es heute im schönen Rohrbachtal, im romantischen Hauksgrund oder im oberen Geistal auf der ehemaligen Bahntrasse dann einen Radweg, der nach Homberg und Wabern führt?


Quellen (Auszüge sind kursiv gesetzt)

° 1 HessStAM – Best. 180/LA Hersfeld, 3036

° 2 Kreisstadt Bad Hersfeld – Louis-Demme-Stadtarchiv

° 3 HessStAM – Best. 180/LA Hersfeld, 3034

° 4 Hersfelder Zeitung, 10. September 1911

° 5 HessStAM – Dep. 605.1, PII 1312/52

° 6 Hersfelder Zeitung, 14. Dezember 1926

° 7 HessStAM – Best. 180/Rotenburg, 2878

° 8 Hersfeld Kreisblatt, 12. Sept. 1911